Marke & Identität II – zur Notwendigkeit eines neuen Markenverständnisses
Während der letzte Artikel ein schnelles Festhalten der Idee der Marke als soziale Identität war, möchte ich jetzt den Ansatz strukturierter vorstellen. Beginnen wir mit dem Anfang: Warum?
Für Leser ohne Zeit – Notwendigkeit eines neuen Markenmodells:
- Klassische Markenansätze sind immer schlechter anwendbar.
- Für viele Branchen sind sie gar nicht geeignet.
- Medienwandel kann überall nur mäßig berücksichtigt werden.
- Bisherige Modelle sind für die Markenführung im gesamten Unternehmen unzureichend.
- (Modell für „LoveBrands“ fehlt völlig. ;-)
Meine letzten 20 Jahre waren eng mit den technologischen und sozialen Veränderungen in der Welt verbunden. So mag es nicht wundern, daß ich mit den herkömmlichen Ansätzen zur Marke immer unzufrieden war. Die vielen verschiedenen Ansätze fühlten sich unvollständig an. Meßbar ist kaum etwas. Dem gegenüber steht die enorme Bedeutung der Marke für die Unternehmen. Nicht zuletzt auch das starke Interesse im Mittelstand, der sich aber selten an das Thema Marke wagt. Es ist wie bei den Ärzten: 10 Experten, 12 Meinungen. Keine davon wirklich überzeugend.
Dazu kommen die Veränderungen selber. Die Branche beschäftigt sich derzeit viel mit Neuromarketing. Da selbst die besten Wissenschaftler mit dem Thema sehr vorsichtig umgehen, weil es immer noch nicht zu greifen ist, mag dies hier als Hinweis genügen, daß sich die Markenwelt um sich selbst dreht und kaum weiter kommt. Das wiederum liegt wohl an den komplexen Herausforderungen, die mit den Mitteln der alten Welt nicht zu lösen sind.
Es hat sich ja nicht nur die Medienwelt verändert. Das TV als stärkstes Medium zur Imagebildung wird immer schwächer. Print exisitiert, ist aber so zersplittert, wie eine gestürzte Glaskanne. Im Radio weiß kaum jemand, wie man eine Marke akustisch führen kann – MarkenIMAGE ohne Bilder? Das Internet ist so komplex, daß die meisten es immer noch nicht verstehen. Alles wird immer wieder auf das CD zurückgeführt, daß Design. Optik ist halt leichter zu kontrollieren, als Werte. Sicher, es gibt auch Gegenbeispiele, aber die sind selten.
Dazu kommt, daß die gängigen Markenmodelle in vielen Branchen nur schlecht funktionieren. Ich habe die letzten Jahren viele Studien in der Lifestyle-, Konsumgüter- und Tourismusbranche durchgeführt. Hier ist der Mangel am deutlichsten zu spüren. Im Grunde habe wir nur zwei Produkttypen, auf deren Basis fast das gesamte Marketing funktioniert: FMCG, Verbrauchsgüter und langlebige Konsumgüter. Beide werden vor allem durch die Verwendungsdauer und das Involvement der Nutzer beschrieben. Wobei das Involvement eine schwache Ableitung der Verwendungsdauer ist: was ich länger habe, ist mir auch wichtiger. Dieser Ansatz stimmt aber schon für die betreffenden Produktgattungen nicht. Dank Internet wird das sichtbar: es gibt Leute, die ein enormes Involvement für Joghurt entwickeln, so wie es Leute gibt, denen Ihr Auto sch…egal ist.
Viel schlimmer aber: wie kann ich zwei Variablen gegenüber stellen, deren Abhängigkeiten offensichtlich, im Modell aber nicht geklärt sind? Ich rede hier nicht von Erdnüssen. Das Problem betrifft die Basis für einen Großteil der Marketingtheorie.
Die anderen Branchen bedienen sich nun der Markenmodelle, die auf dieser Grundlage entwickelt wurden, wie z.B. Dienstleistungen in der Finanzbranche und der Tourismus – um es noch einmal deutlich zu sagen: Methoden für Joghurt oder Autos. Hat der geneigte Leser das Gefühl, EON ist eine Marke? Oder die Hamburg-Mannheimer? Liegt das an der Markenführung? Oder doch am Modell des Markenimages? Kann eine Dienstleistung, die man ja im direkten Kontakt als Produktnutzer erlebt, auf ein Image fokussiert werden? Das nicht generisch ist (freundlich, zuvorkommend etc.)? Und wenn ja, reicht das Image für ein „Markenerlebnis“? Fühlt sich die Marke dann einigermaßen lebendig an? Letzter Punkt wäre gerade für das Modell der Brand Personality bis hin zu den bisherigen Ansätzen der Markenidentität als Ergebnis der Markenführung wichtig.
Das Problem liegt meines Erachtens tiefer. Im Tourismus haben wir eine kurze Verwendungsdauer, die der männlichen Nutzung eines Joghurt durchaus entspricht: im Schnitt 10Tage. Gleichzeitig aber ein sehr hohes Involvement, wie es dem männlichen Interesse am Auto entspricht. Reicht da das Image einer Destination oder eines Veranstalters für eine Kaufentscheidung? Das Gleiche gilt übrigends für Versicherungen. Kurze Beschäftigung mit einem komplexen Thema mit – durch die Verkäufer noch gesteigertem hohen Invovement, bei langer Nutzungsdauer und totalem Vergessen der Vertragsinhalte nach dem Abschluß. Beides keine Eigenschaften, die den klassischen Modellen entsprechen.
In der Lifestyle- Branche mischen sich dann Verwendungsdauer und Involvement bunt durcheinander. Beispielhaft erwähnt sie nur das Tellerset i. für jeden Tag, ii. für besondere Anlässe und iii. für Freunde. Wie soll man da als Markenverantwortlicher Entscheidungen treffen?
Angenommen, ich habe Image und Werte der Marke sinnvoll definiert – wie „stülpe“ ich das über mein Unternehmen? Welche Produkte passen warum zur Marke? Wie sehen die Mitarbeiter aus? Nicht körperlich, sondern von Ihren Kenntnissen, Fähigkeiten und Ihrem Auftreten her gedacht? Undzwar ohne sie menschlich zu „verbiegen“?
Nehmen wir die Mitarbeiter im Apple Store. Da passt alles zur Marke. Aber wurde dazu das klassische Markenmodell genutzt? Wird nicht überall in andere Theoriebereiche ausgewichen, wo die übliche Markendefinition kaum funktioniert? Wäre es nicht besser, wenn es ein Markenmodell gibt, daß die ganze Vielfalt unserer modernen Welt – und es wird wohl kaum weniger werden – integrieren kann? Wenn die Markenwelt wieder einfach wird?
Und nicht zuletzt: will nicht jede Marke geliebt werden? Ist das nicht das höchste Ziel der Markenführung und der Traum jedes Markenmenschen? Wie soll man aber ein Image mit festen Werten lieben? Liebe ist dynamisch. Sie verändert sich jeden Tag und bleibt sich doch treu. Sie folgt unseren Gefühlen, nicht unserem Verstand. Warum können die normalen Modelle das nicht abbilden / verständlich machen / erzeugen? Warum hängt alles an einem Verantwortlichen, der „das richtige Gefühl“ für die Marke mitbringt? Und wie merke ich, wenn das nicht mehr passt?
Ich mag ja das Modell der Brand Personality. Ein wichtiger Schritt weg vom „Aufkleber Logo“, hin zu einem Wertekonstrukt der Marke. Aber das Modell hat halt einen wichtigen Geburtsfehler. Das vielleicht tiefste Problem überhaupt: die Marke war immer als „ICH“ gedacht, alle Markenmodelle sind zutiefst egoistisch. Sie können nur das Ich kommunizieren. Sie wollen nur das Ich kommunizieren. In der Welt der Marke gibt es kein Wir und wenn überhaupt, dann nur als Alibi, als Lückenfüller für die Maßnahmenentwicklung.
Ich denke, eine Marke, die in Ihrer Community keine Identität stiften kann, wird nur als Produkt erlebt und gekauft: der Preis entscheidet, nicht die Markenwerte. Mehr dazu demnächst hier.