iPad Pro: Test in der Anwendung und Praxis
:: Das Klemmbrett als Rechenzentrum
Kann man Tech-Journalisten heute noch für voll nehmen? Sie sind jedenfalls der Grund für diesen Beitrag, der hier eigentlich nicht hergehört. Spiegel-Online tut so, als wäre ein iPad ein Notebook und kommt dann zum Fazit, daß es doch „nur“ ein iPad ist. Das Handelsblatt schiesst den Vogel ab, weil u.a. keine USB-Maus angeschlossen werden kann. Das macht das Surface zum Sieger des Vergleichs mit dem iPad Pro und das Handelsblatt lächerlich.
Einzig die FAZ versteht, wofür das Gerät gedacht ist, testet es entsprechend und macht eine gute Figur. V.a. der Begriff Klemmbrett trifft es ziemlich gut, denn es ist das Klemmbrett unter den Computern. Früher nahm man so ein Brett mit in die Meetings: Unterlagen zum Nachschlagen und Papier & Stift für Notizen, die dann später verarbeitet wurden. „Schiffe versenken“ auf Karopapier für die langweiligen Teile des Meetings.
Soweit ist eigentlich alles gleich geblieben. Nur das so ein Pad der Zugang zum Rechenzentrum dieser Welt ist. Permanent, überall, unterwegs – und das Verarbeiten auf dem gleichen Gerät stattfindet. Das trifft die Kernfrage, denke ich: kann das iPad Pro den Rechner ersetzen? Aber der Reihe nach:
:: Der allererste Eindruck
Ja, in den ersten Stunden kommt einem das iPad Pro riesig vor und klobig und schwer. Klar, ist ja auch ein Rechenzentrum. Nach und nach entwickelt es sich allerdings zum universellen Klemmbrett. Und: es wird immer leichter.
In meinem Job kommen viele verschiedene Arbeitsszenarien vor, kaufmännische Arbeiten (Buchhaltung, Statistiken), wissenschaftliche Arbeiten (Recherchen, Studien) und kreative Arbeiten (Präsentationen, Entwürfe). Dazu bin ich viel unterwegs – alles in allem ein Tester für die unterschiedlichsten UseCases, ein intensiver Nutzer.
Mir war klar, daß nicht alles gleich funktionieren wird, wenn etwas neu ist. Das ist jetzt fast zwei Wochen her. Im Gegensatz zu den ersten Tagen hat sich dann vieles verändert. So irritierte, daß die Apps verschiedene Tastaturen anzeigen. Wie eine Sammlung aus 20 Jahren Computing. Manche Apps hatten iPhone-Format, wie die Buchhaltung von Sage (was ich überhaupt nicht verstehen kann), andere wiederum zeigten nun die Magazine in Originalgröße, wo man mit den kleineren iPads noch scrollen musste, allerdings ist das Pro dann schwerer als ein Magazin. Wirklich überraschend: vor Jahren hatte ich die App „Famous Books“ geladen, eingescannte Bücher aus dem Mittelalter, und nie wieder benutzt. Jetzt sehen die uralten Bücher und Zeichungen auf dem Pro einfach nur entzückend aus – Fullscreen.
:: Der allerzweite Eindruck
An die Größe gewöhnt man sich recht schnell. V.a. wenn man kein anderes Tablett mehr in die Hand nimmt, was schon deswegen der Fall ist, weil das Pro so dermaßen schnell ist. Und ja, es ist deutlich schneller, als meine MacBooks bisher und erinnert an einen „normalen Computer“, was das Arbeitstempo der Maschine angeht.
Nach und nach werden die Apps angepasst. Das geht fast jeden Tag so. Nach und nach werden auch meine Erwartungen angepasst. Auch das geht fast jeden Tag so. Ich gewöhne mich an das Pro und bereue meine Entscheidung, auf etwas Neues umzusteigen, nun nicht mehr. Ganz im Gegenteil. Mich verwirren auch die Apps nicht mehr, die auf dem Pro nicht das Apple-Typische „Ein Nutzenszenario“ bieten, sondern eine ganze Reihe davon.
Das Arbeits-Pro ist ein anders, als das Spiele-Pro, oder das Lesen-Pro. Das war der unerwartetete Teil. Ich wollte ja mein sehr altes Notebook ersetzen. Also wollte ich auch einen Arbeitsrechner. Nun habe ich aber einen Arbeitsrechner und ein Magazin, einen Spielecomputer, ein Mediengerät und was ein iPad noch so alles kann. V.a. habe ich aber einen analogen Computer, der auch alle anderen Computer kann.
Fazit: Das Pro ist ein Arbeitstier, aber je nach Tätigkeit ein anderes.
:: Der schaffende Eindruck
Schreiben: Die Tastatur ist ungewohnt. Für ein iPad ist sie riesig, für ein Notebook ohne Feedback, zudem fehlen ein paar der von ganz früher gewohnten Tastaturbefehle. Echt nervig: die Taste für Emoticons unten links. Da hat sich mein Finger an „Umschalten“ oder „Funktion“ gewöhnt und Emoticons gehören für mich auf das iPhone. Aber: natürlich ist es eine volle Tastatur, mit der man zehn-Finger-schnell-schreiben kann. Da das bisher auf den Pads nicht ging, ist es eben ungewohnt. Feedback gibt es übrigens akkustisch, wenn die Finger auf dem Display tippen. Mir reicht das. Ich hab ja noch einen B-Plan, mehr dazu unten im Gesamteindruck.
Wie der Screenshot zeigt, lässt es sich damit aber gut arbeiten. Vorraussetzung: eine Hülle, die eine Schräglage ermöglicht. Ein „flaches Brett“ auf dem Tisch ist zum Tippen eher ungünstig. Was der Tastatur eigentlich nur fehlt, sind die Pfeil- und Funktionstasten, um durch Texte zu navigieren.
eMail: Das eMailprogramm wirkt einfach riesengroß. Funktionen, die auf dem Rechner normal sind, werden nun, da das Pad zum Arbeiten taugt, vermisst, z.B. das automatische Filtern von eMails und das Sortieren nach Ungelesen, Anhänge etc.. Allerdings: im SplitScreen hat die eMail App wieder die richtige Größe – und genau da nutze ich es meistens. Während ich arbeite, ziehe ich von rechts kurz die eMail auf, schaue nach Neuem, antworte und ziehe eMail wieder zu.
Split Screen: Hier fühlt man den Unterschied zum Notebook am Intensivsten. Ich wechsle nur noch selten zwischen den Apps. Das Gefühl, in „Fenstern zu arbeiten“ verschwindet zusehends. Dafür stellt sich ein ganz anderes Arbeitsgefühl ein, doch dazu unten mehr.
Spiele: Yeah. Sound und Immersion, das Gefühl, in das Spiel einzutauchen, ist enorm. Es ist keine Floskel: hier hat man das Spiel tatsächlich in der Hand. Egal bei welcher Kategorie von Spielen. Das ist der nächste Angriff auf Konsolen und Ko. Bisher war man dem Geschehen einfach noch nie so nah – also irgendwo zwischen Nintendo und 3D Brille.
Magazine und Comics: Der neue Asterix auf dem Pro – das ist nicht mehr die Arbeitsmaschine, das ist digitales Papier. Da 700gr fühlbar mehr sind, als die ca. 250gr eines Comics, wechsle ich die Lesepositionen mehrmals. Im Prinzip so, wie man es mit den dicken Wälzern unter den Büchern macht. Am Ende zählt die Relation, denn was beim Comic aus Erfahrung schwer wirkt, ist es beim Notebook ganz im Gegenteil, ein Fliegengewicht. Das erste iPad war ja genau so schwer, wie das Pro jetzt. Hier wird sich also auch noch Etliches tun. Zudem: So ein Buchwälzer wäre wieder deutlich schwerer, als ein Pro. Alles eine Frage der Gewohnheit.
Bloggen: Der Beitrag ist komplett auf dem Pro geschrieben, inkl. aller Screenshots und Zeichnungen. Bloggen macht man oft unterwegs, da ist so ein iPad Mini natürlich super, weil es enorm wenig Platz braucht. Mit dem Pro finde ich mittlerweile aber auch meine Plätzchen. Es passt locker auf einen Klapptisch in der Bahn oder im Flugzeug. Gerade beim Bloggen ist der Splitscreen fantastisch, ein Mehrwert, der die geringere Flexibilität mit der Größe locker wettmacht – und dann kommt noch der Akku dazu, der ewig zu halten scheint. Was hier echt nervt, ist die WordPress-App, die einfach unreif ist. Sie wird immer besser, aber mobil arbeiten stellen ich mir deutlich einfacher vor.
OneNote: Die App ist wie gebaut für das Pro. Die verschiedensten Formate können zusammengeführt werden. Das muss nicht sein, geht auch anders, wirkt hier aber besonders komfortabel, z.B. gleichzeitig: die wesentlichen Punkte notieren, die zwei relevanten Seiten des PDF einfügen und dann mit dem Stift ein paar Stellen markieren und eine Grafik reinzeichnen.
Unerwarteter Stressfaktor: den Text eines Magazins auf einer Seite sehen. Warum? Auf Webseiten fehlt der Kontext, der mir sagt, wie lang der Artikel ist. Ich sehe immer nur einen Bereich des Inhaltes, der meinem Hirn unbewusst sagt: das hast du schnell gelesen. Plötzlich habe ich wieder den ganzen Text vor mir und tief drinnen rumort das Unterbewusstsein, weil die Tages-ToDo-Liste drückt (so wie jetzt gerade).
Die Cloud: hat einen eigenen Absatz verdient. Cloudcomputing und iPadPro – das passt. In den Cloudordnern liegen die Dateien, die Cloud ist sowas wie der Finder auf dem Rechner. In etlichen Cloudprogrammen kann man suchen. Gearbeitet wird dann in den Anwendungen (Apps). So kann man auch jederzeit auf dem Rechner im Büro weitermachen. Ich hab also keinen Finder mehr, sondern eine Ordner- und Arbeitsstruktur und getrennt davon die Arbeitsoberfläche, der Desktop, mit dem ich wiederum die meisten Dinge nicht mit der Maus, sondern mit der Hand mache. Das fühlt sich, gelinde gesagt, geil an.
:: Der Gesamteindruck
<<< Nachtrag Arbeitsgefühl: Das iPad Pro fühlt sich an, als würde man seinen Schreibtisch mit allen Sachen drauf ständig dabei haben. Kaum ist das Cover geöffnet, liegt er vor einem und die Hände werkeln los. >>>
Das iPad Pro war die Alternative zu einem neuen Notebook. Damit war es ein Wagnis, wenn auch ein kalkuliertes, denn in diesem Gerät steckt das Morgen. Die Kalkulation: wenn ich mich heute schon an das Morgen gewöhne, dann kann ich flüssig arbeiten, wenn es bei allen angekommen ist. Mit dem „flüssig“ bin ich nach zwei Wochen schon fast durch.
: Grundbausatz
Tablet-Computing hat was mit Fingern zu tun. Die alte Computerstruktur, mit zentralem Desktop, Ordnern, Tastatur und Maus, findet hier einfach nicht mehr statt. Das iPad hat den Nutzer von diesen ganzen Dingen befreit. Das Computing ist enorm direkt – auf dem Bildschirm eben. Davon muss man ausgehen, sonst macht eine Bewertung und ein Test gar keinen Sinn.
Das grundlegende Problem, das Nutzer mit dem Gerät haben werden, und welches ja auch die Journalisten hatten, ist die Umgewöhnung auf etwas Neues. Die Belohnung ist dann, das man Etliches dazu bekommt. Peripherie, wie Tastatur und Maus, machen also noch Sinn – aber eben nur, weil die Anwendungen noch dafür gebaut sind und die ganze Computerwelt so tickt. Das nimmt jeden sichtbar Tag mehr ab – und – es geht fast schon komplett ohne die alte Welt, wie meine Tests zeigen.
: Homecomputer
Da der mobile Einsatz des Pro naheliegend ist, packe ich den Teil ans Ende. Wie macht es sich also Zuhause? Nun, vielleicht wundert es, aber Zuhause habe ich einen MacMini dazugekauft. Das Pro ist dann zunächst ein Monitor. Genau. Also das, was es ja zunächst auch ist. Ein Monitor. Am Mac Mini ist eine Tastatur und eine Maus. Liebe Journalisten: ein Maus, so wie früher! Toll, oder? Aber – leider – keine USB Maus. Die Magic Maus kann Bluetooth und sogar Gestensteuerung, wie auf dem Pad. Wow! Oder?
Das Netzkabel des Pro hängt direkt am USB-Anschluß und zeigt über die App „Duet“ den Bildschirm des Mini. Dazu noch eine kabellose Tastatur und der moderne, schnelle Rechner ist fertig.
Was war der Hintergedanke? Nun – unterwegs sind ein Mini und ein Pro zusammen immer noch leichter und preiswerter, als ein Macbook Pro. Ich kann den Mini also mitnehmen (und habe einen „richtigen Rechner“), muss aber nicht (und mache es auch nie). Denn das Pro ist ein richtiger Rechner, nur eben ein Anderer.
Faktisch ist es so, daß der Mini als App im Hintergrund läuft und ich sehr selten „auf den Computer“ umschalte. Dafür kann ich die Tastatur des Mini direkt am Pro nutzen. Das schreibt sich toll und der Kauf der Umschlagtastatur für das Pro, erübrigt sich. Also auch hier volle Flexibilität: falls unterwegs wirklich viel zu schreiben ist, nehme ich die Tastatur mit, bisher genügte aber immer die Bildschirmtastatur des Pro.
Und die Maus? Die geht auf dem Pro gar nicht – kein Wunder, gehören Mäuse doch zum Desktop-System von Gestern. Hier arbeitet der Pencil wie eine Maus. Seiten scrollen, Funktionen bedienen, Text markieren etc. – die Länge des Stiftes passt zur Entfernung des Bildschirms, wenn das Pro wie ein Monitor funktioniert. Was also bisher der Mauszeiger war, ist nun die Stiftspitze. Die Maus brauche ich also nur für das Desktop-System, welches nun, wie einst das Telefon, zur App wurde. Natürlich kann ich mir das Klemmbrett schnappen und schnell mal nach draussen an die frische Luft gehen. Dann arbeitet der Stift wie ein Stift. Womit wir bei der mobilen Nutzung wären:
: Reisecomputer
Darum ging es wohl Tim Cook, als er sagte, er braucht keinen anderen Rechner mehr: um das unterwegs sein. Die Frage ist also nicht, „kann das Pro den Computer ersetzen“, sonder „kann das Pro den Computer unterwegs ersetzen“?
Ja. Das Pro kann den Computer ersetzen. Deshalb kann das Pro auch den Computer unterwegs ersetzen. Es ist halt nur ganz anders, als bisher gewohnt. Ich kann mir vorstellen, wie damals die Experten geschimpft haben, als die Maus aufkam und plötzlich jedermann einen Computer bedienen konnte… Einfach so, ohne Unix und andere Sprachen zu lernen. Unverschämtheit. Und heute kann jedermann einen Stift bedienen, oder seine Finger, ganz ohne Maus. Unverschämtheit.
Was macht man denn auf Computern? Dateien suchen, speichern, austauschen und bearbeiten. Klar kann man das auf dem Pro. In riesigen Excel-Tabellen nicht mehr mit der Maus, sondern mit den Händen navigieren – geht sogar viel besser.
Es gibt nur einen Gedanken, den man verinnerlichen muss: Was früher Funktion war, ist heute Peripherie. Ich möchte lange Texte schreiben? Tastatur als Peripherie. Ich möchte Filme schauen, Fernseher als Peripherie. Ich brauche Rechenpower, „Computer“ als Peripherie. (Ich brauche gar keine Maus mehr. Wozu, wenn es keine Fenster gibt? Die Maus ist dann die Peripherie zur Peripherie Computer.)
Und in der Mitte liegt das Pro.
Unterwegs sogar wörtlich. Menschen sitzen in Meetings. Man möchte etwas zeigen. Das Pro liegt in der Mitte, steht aufrecht oder macht die Runde, groß genug für etliche Meter Entfernung zum Teilnehmer. Jeder kann darauf sofrt Dinge machen und zeigen – Teamwork an einem Platz. Mit Beamer (Peripherie) dann auch für große Runden.
Texte, Notizen, Mindmaps, Skizzen – alles, auch nebeneinander, auch für alle gleichzeitig – das Pro ist der zentrale Rechner, der nur noch ein Monitor ist, den man mit der Hand bedient. Haben alle, die es bis hier geschafft haben, noch die Computer von Minority Report vor Augen?
Dann Herzlich Willkommen in der Zeit des „Ubiquitous Computing“. Klar, daß das „unsichtbare Computing“ analog ist.
Hat das Pro Nachteile? Ja. Deutlich weniger, als andere Computer.
:: Das FazitFazit
Der Monitor ist die Arbeitsoberfläche, im Wortsinn ein Desktop. Das Pro hat dafür die richtige Größe. Dateien liegen in der Cloud. In Kombination mit dem Mini und einem iPhone, habe ich alle Formen von Computer , die man heute braucht. Das bringt eine enorme Flexibilität im Arbeiten. Ich meine, was soll denn heute bitte der „eine“ Computer sein, der andere ersetzt?
Das Neue ist die Nähe. Das war früher schon der enorme Unterschied zu Windows. Beim Mac ist man in der Arbeit versunken, nicht mit der Software beschäftigt. Dieses Arbeitsgefühl erreicht jetzt einenen neuen Höhepunkt. Mit Auge und Hand ist man ganz dicht dran. Viele Tätigkeiten werden statt mit der Maus, wieder mit der Hand ausgeführt. Fenster an Fenster. Handarbeit am Rechner. #Hach
Der Höhepunkt ist dann der Stift. Jede Kopfarbeit hat etwas mit Begreifen zu tun und dafür brauche ich was zum Greifen. Da ist die Maus nur ein mittelprächtiges, kleines Ding. Der Stift ist das Interface zwischen Kopf und Computer. Nochmal für alle und langsam: der Stift ist D A S Interface, schon recht lange. Noch während ich an einem Text sitze, ziehe ich ein Blatt auf, zeichne eine Skizze zu den Zusammenhängen und strukturiere den Text besser. Nicht diesen hier – denn ich muss jetzt wieder arbeiten, soviel Zeit habe ich auch nicht. Aber es war mir wichtig, mal einen echten Anwenderbericht zu schreiben. Nicht wie ein Journalist, eher wie ein Pro, wenn diese Bemerkung gestattet ist.
AproPro:
Meine erste Zeichnung auf dem Pro, bissl grob noch, aber man sieht, was gemeint ist. Es ist eine Nymphe, was Berufliches also: