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Notizen

Heimat im Wahlkampf – aus dem Blick der sozialen Identität

Das ist weder ein wiss. Abstract, noch eine professionelle Analyse. Dennoch kann ein kurzer Blick aus dem Augenwinkel der soz. Identität die Ergebnisse der Bundestagswahl anders beleuchten.

Für eine Partei war das Ergebnis wesentlich und erschütternd – nein, nicht die FDP. Ich meine die Grünen. Weshalb ich auf Ihrer Wahlparty war. Live lassen sich Dinge immer besser einschätzen. Relativ kurz nach der letzten Wahl 2009 und noch kürzer nach Fukushima lagen die Grünen in Umfragen bei 20%, kurz vor dieser Wahl noch bei entspannten 15%. So etwas wiegt genauso in falsche Sicherheit, wie die himmelhoch-zutodebetrübt Zahlen der FDP der letzten Jahre. Die Probleme der beiden Parteien sind jedoch grundsätzlich verschieden – auf der gemeinsamen Bühne grundlegender Veränderungen im Bausatz der Gesellschaft.

Bei den Grünen gibt es zwei Lager, Links und Realo. Was ja impliziert, das Links nichts Reales ist. Ein alter Zwist. Im Grunde werden die Grünen aber als Themenpartei gehandelt, wie jede „kleine“ Partei auch. Das Thema ist aber nicht ihr Thema. Sie war auf dem Sprung zur großen Partei. Sie ist eine Wertepartei. „Grün“ war nur der kleinste gemeinsame Nenner. Hier treffen sich die Werte. Aber was haben sie im Wahlkampf daraus gemacht?
Über die CDU muss man nicht viel sagen, denn alles, was ich hier schreibe, haben sie richtig gemacht oder hat als Fehler der Anderen der Partei zugespielt. Aber eines muß man sagen: der fundamentale Sieg, Parteiforscher Prof. Korte sagte im ZDF: „mehr geht jetzt nicht mehr“, ist die Bestätigung der Rückkehr der Werte – als Ausweg aus postmoderner und dekonstruktivistischer Beliebigkeit.

Werte als treibende Kraft der Identität von sozialen Gruppen. 

Prof. Korte nochmal: „So sind die Grünen auf Ihre Stammwählerschaft zurückgefallen.“ 2009 haben sie noch gesellschaftliche Kräfte jenseits des Kerns mobilisiert. Sicher – Angel A Merkel hat sich die Mitte Deutschlands umfassend und professionell gesichert. Welche Themen der anderen Parteien auch immer mittig genug waren, sie hat sie sich geholt. Und – überzeugend in den Rahmen der CDU implementiert. So etwas schafft bei anderen Lücken.
Für eine Entscheidung alle vier Jahre braucht es aber mehr, als ein Thema. Es braucht etwas Höheres. Etwas, das jede Lücke schließt, Themen schafft und füllt. Etwas, daß mir die Gewißheit gibt, daß Versprochenes auch gehalten wird, nämlich das Handeln leitet:

Werte sind letztgültig und garantieren, wofür man steht. Dadurch leiten sie die Interpretation des gesprochenen Wortes hinsichtlich erwarteter Handlungen. 

Zeig mir, wer du bist, und ich weiß, wo ich mich auf Dich verlassen kann. Da stehen wir also nun mit den Grünen. Umweltschutz, Energiewende, Nachhaltigkeit – es gibt viel zu tun, aber es wird bereits viel getan. Sicher, die einen können es besser, als die anderen (dieser Satz gilt für fast alle Parteien ausser der CDU, die sind die Anderen), aber im Schnitt der Gesellschaft verdichten sich die Themen und man hat nur zwei Stimmen. Der Wähler kann Themen nicht mischen, er muß sich entscheiden. Die Diskussion um das Nicht-Wählen hat gezeigt, wie brisant sich Individualismus und gesellschaftliche Verantwortung an dieser Schnittstelle brechen.
Sieben Jahre nach der FDP ist den Grünen Ihr Leitbild abhanden gekommen. Sie können sich nicht mehr hinter den Themen verstecken, sie müssen Gesicht zeigen. Charakter. Einen Wertekern. Die Marke. Das Atom, das alles zusammenhält.
Ich sage Leitbild, weil Image haben sie. Aber dieses Image ist zerfleddert. Siehe: Zwei Lager. Man kann sie so oder so sehen, die Grünen. Meine vielen Reisen im Land haben mir bestätigt, daß das auch so ist. Im Süden sind die Grünen nunmal anders, als im Norden. Wie es gestern schon bei der  Wahlparty in der Landesvertretung Baden-Württemberg (danke für die tolle Organisation!) und in der Ur-Berliner Halle am Columbiadamm sichtbar wurde. Völlig unterschiedliche Welten, völlig unterschiedliche Stimmungslagen.
Warum sieben Jahre nach der FDP? Weil ich 2006 ins Kommunikationskonzept geschrieben habe: Unsere Welt ist so liberal wie nie, die FDP muß jetzt dringend eine moderne Form des Liberalismus entwickeln. Dieser verklungene Weckruf gilt nun den Grünen. Umwelt ist Dauerthema, in der Nachhaltigkeit stecken aber noch ganz andere Werte. Wie wäre es mit moderner Verbundenheit?

Die Grünen sind nicht „links“, sie sind sozial, fast schon seelenwarm. Sie sind eine moderne Spielart des Bürgertums. Gespeist aus zwei unterschiedlichen Quellen. Diese Wahl ist Ihr Scheideweg. Entweder finden Sie Ihren neuzeitlichen, bürgerlichen Wertekern, oder sie gehen den Weg der FDP. Sie sind eine Wertepartei – und da sind jede Menge ursprünglichster christlicher Werte dabei. Aber eben auch jene modernen Elemente der persönlichen Freiheit, gerade im emotionalen Bereich. Dabei darf man nicht vergessen, daß die alte Zuordnung der „Klassen“ und „Schichten“ völliger Blödsinn geworden ist, auch wenn die Wahlforscher sie noch nutzen – nur um zu sehen, daß alle Parteien von allen Klassen und Schichten gewählt werden. Das ist genauso Unsinn, wie die Sozia-Demografien im Marketing. Schön strukturierbar, aber ohne Aussage zur Gestaltung.
Sicher, 5% sind die Hürde und entscheiden sehr viel. Zum Beispiel über den Arbeitsplatz tausender, sehr engagierter, leidenschaftlicher Mitarbeiter. Aber sie sind nicht der Fokuspunkt der Ausrichtung einer Partei. Auch nicht die fehlenden 0,2% bei der FDP.
Das vorweg geschickt, um zu sagen, daß ich die 8% der Grünen viel bedrohlicher finde, als die 4,8% der FDP.
So wie die FDP in den letzten acht Jahren zwischen oben und unten schwankte und immer noch die Chance hat, Ihre neue Mitte zu finden. Ganz persönlich finde ich persönliche Freiheit mit wirtschaftlicher Vernunft gestaltet, ohne die Zwänge einer Volkspartei, immer noch ein wichtiges Thema. Nur ist es längst das Thema jeder Partei. „Weniger Staat“ hat nur eine Partei, in Zeiten riesiger Unsicherheiten aber kein echter USP. So finde ich in jeder Partei andere Elemente meines eigenen Freiheitsbedürfnisses gepaart mit wirtschaftlichen Theorien. Wie gesagt, noch nie waren die Zeiten so liberal wie heute – aber sind sie auch beliebig?

Werte halten, der Markenkern ist zeitlos. 

Sind sie nicht. Also beliebig. Identität und Heimat, eine hohe Form sozialer Identität, sind meines Erachtens die wesentlichen Treiber dieses Wahlkampfes. Die CDU – als Mission im Parteinamen die Christliche (also Evangelisch und Katholisch, oder Germanisch-Keltisch, oder der Norden- und der Süden, oder der Weißwurstäquator und die Preussen, oder römische und nicht-römische Zone oder wie auch immer man den Kulturschnitt mitten in unserer Kulturnation strukturieren möchte) Union mit demokratischen Mitteln ist reinster Zeitgeist mit Tradition, Mutti ist Ihr Zuhause. Wir wollen endlich Deutsche sein. Die Deutschen, die das Ausland als solche erkennt. Wir wollen es auch im Herzen spüren. Wir wollen endlich ankommen. Wir Deutschen wollen ein Zuhause. Mutti, bitte! Welche andere Partei bietet ein modernes, nationales Zuhause? Alle anderen Parteien müssen diese Kraft woanders ziehen.

Welche Heimat können uns also die anderen Parteien geben? Genau das ist meines Erachtens die Frage. Die Grünen haben Ihre Stammwähler und sonst nix aktiviert, weil daneben derzeit auch nix ist. Die Themen im Wahlkampf konnten diesen Mangel nur noch verstärken, sichtbar machen, sind aber kaum die Ursache. Die „versuchte“ Wirtschaftskompetenz, Steuern, statt Nachhaltigkeit… Sowas… Dann am Ende der Schwenk zu alten Themen, zu spät in doppelter Hinsicht. Zu spät für diesen Wahlkampf und zu spät für die Entwicklung der Gesellschaft an sich. Eine Doppelspitze, die nie als Einheit daherkam – ausser bei den Mitgliedern, die ja am Prozess beteiligt waren. Überhaupt die neue Beteiligung – daß große Du. Sie ist nicht zu einem Ergebnis gekommen, der Prozeß alleine reicht also nicht. Aber das konnte man schon bei den Piraten lernen. Neue Prozesse sind nichts ohne neue Substanz, tolles Internet hin oder her. Die Substanz kommt aber aus den Werten. Welche Werteeinheit haben Katrin Göring-Eckhardt und Jürgen Trittin verkörpert? Welche zwei Seiten welcher Medaille waren sie?
Die einzigen Werte die hi und da aufpoppten, war die Arroganz des Gutmenschentum: Meine Werte sind besser, als deine Werte, bätsch! Aber wo war die Begründung?

Womit wir mitten in der FDP sind. Die Süddeutsche findet drei Fehler. Der erste Fehler aber, ist der Kern des ganzen Dilemma: „Die Deutschen haben … der politischen Grundeinstellung der FDP Adieu gesagt.“ Kein Personal der Welt kann das retten und auch keine Inhalte, egal ob in der Verantwortung oder in der Opposition – um die beiden anderen Fehler zu nennen. Es fehlt am Herzen. Welchen Sinn hat Liberalismus in unserer Zeit? Lindner hatte mit einem umfassenden Suchprogramm begonnen. Was ist daraus geworden? Und warum? In diesen fehlenden Antworten steckt für mich alles, was zu diskutieren lohnt.
Nur am Rande bemerkt: Die Häme im Netz findet auf der Klischeeebene statt und verwechselt zudem Personen mit Partei. Dieses Niveau ist schauerlich. Es ist übel ideologisch.
Beachtenswert ist allerdings, daß deutschlandweit durch alle Schichten die FDP offensichtlich die perfekte Schablone für Spott lieferte. Eine Partei des Individuums, des Individuellen – inmitten einer Zeit der großen Identitätssuche. Im Spott steckt immer eine große, soziale Weisheit. Hier würde ich mit der Suche beginnen. Könnte nicht der Mensch selbst, sich ein neues Zuhause sein? Die FDP wäre traditionell die erste Adresse, mit diesem neuen Gesellschaftsbild zu beginnen.
Zu allem Jammer sitzt die FDP also auch noch an der Sollbruchstelle eines Zeitenwandels. Aber hey – Verantwortung war immer eine große Herausforderung. Wir werden sehen, wer sich dieser Verantwortung stellt. Aber stellen muss sich einer, wenn die FDP bestehen bleiben will. Denn an dieser Front lauern schon die Piraten. Der Pirat hatte ja ein spannendes Konzept der Gemeinschaft auf Basis individueller Freiheit. Also damals schon, als noch für die Königin gekapert wurde. Die „Frei“beuter liebten dieses Leben mehr, als sie den Tod hassten. Aber die ganze Knete, die Schätze der Spanier und Portugiesen, die ging nach England und liess den englischen Adel strahlen, der wiederum kurz vorher noch die Zeichen der Zeit verpennt hatte. Das alte Gesetz der Freibeuter verdient einen neuen Blick. So wie die FDP Ihre Schätze der CDU zugeschaufelt hat.

An der gegenüberliegenden Frontlinie lauert die AfD. Damals, als die Welt noch in Ordnung war, als „wir“ noch die D-Mark hatten. Bürgerlicher Konservativismus, fundiert, erfahren, gestaltungswillig, um zu erhalten, was noch zu retten ist: den warmen Ofen.

Die Stimmen sind aber vor allem an eine Adresse gegangen: die CDU. Fr. Merkel wird sich ins Knie beissen, daß die CDU zum Schluß noch alles gegen die klassische FDP-Zweitstimme gesetzt hat. Es ist das bischen, daß ihr jetzt fehlt. Deutschland ist halt nicht Niedersachsen. Dafür kann in die FDP endlich Ruhe einziehen. Zeit – ein ganz enormer Wert, wie auch Prof. Korte extra betonte. Nicht nur, weil der Koalitionsvertrag zwischen Schwarz-Gelb viel zu hastig erstellt wurde.

Verteilt auf v.a. diese drei Kräfte stellt sich also die Frage: Für wen kann die FDP noch eine Heimat sein? Was genau lieben Menschen, die FDP wählen / würden? Ist da noch was? Ja, da ist ne Menge. Man muss es sich nur holen.

Die unterschiedlichen Aufgaben der beiden Parteien für den Mittelstand sind also Verbindung bei den Grünen, fundamentale Moderniesierung bei der FDP – beides zusammen betrifft die SPD.

Das, was früher mal die Arbeiterklasse war, sind heute die Sklaven der Dienstleistungsgesellschaft. Noch kann die Linke dort nicht wildern. Noch umgibt die SPD der Nimbus der Volkspartei. Deshalb ist die Lage nicht so dramatisch, wie bei den Grünen. Aber die Zeichen stehen auf Rot, weshalb man ja oft den Wald vor Bäumen nicht sieht.
Enormer Realitätsverlust, anders kann man die Stimmung vor der Wahl schlecht bezeichnen. Zeit für bürgerliches Links – warum? Die CDU ist in allen Gruppen die stärkste politische Kraft, mit Ausnahme der Arbeitslosen. Überraschung?
Mehr Emotion, moderne Leichtigkeit – das waren so Signale im SPD-Wahlkampf. Aber auf welcher Basis? Was sind die Werte der SPD? Wo sind sie hin? Hat die Männerrunde der Drei so etwas jeh irgendwo glaubhaft kommunizieren können?
Auch die SPD muss sich neu erfinden, lange schon, zudem aber die verschiedenen linken Strömungen endlich wieder unter einen Hut bekommen. Dafür wird sie wohl tief in den Wurzeln der Partei wühlen müssen. Damals am Anfang der SPD war noch etwas mehr, als das, was sich in den letzten Jahren zunehmend verengt hat. Und das war nicht der Klassenkampf. Aus meiner Zeit des DDR-Unterrichts erinnere ich mich noch gut an den ursprünglichen Zwist zwischen SPD und KPD. Die wichtigen Wurzeln der SPD liegen noch davor. Die SPD ist nicht im Klassenkampf, sondern in einer ursprünglichen deutschen Kultur verankert. Ihre Heimat ist der Norden. Zum Beispiel in der evangelischen Arbeitsethik: Leistung, Bescheidenheit, Fleiß und noch einiges mehr. Hr. Steinbrück symbolisierte eher das Gegenteil davon. Werteclash. Nicht gut. Aber eben auch der Kontrapunkt, um mit einer Analyse zur Zukunft der SPD zu beginnen. Arbeit muss sich wieder lohnen ;-)

In Zeiten der Unsicherheit fällt alle Interpretation auf den Wertekern, die soziale Identität zurück. Ist dieser schwach, werden Klischees bemüht. 

Es gibt meines Erachtens zwei Werte, die im ganzen Land wieder viel Anerkennung erfahren, Werte, die sogar bei den Linken zu sehen waren. Werte, die aber niemand so stringend verkörpert, wie Angela Merkel: Respekt und Demut.
Die Siegerin des gestrigen Abends sah komplett ausgelaugt aus. Alle hatten Ihre Augenränder. Aber Fr. Merkel sah regelrecht fertig aus. Sie steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe: eine vielleicht letzte Legislaturperiode, eine, die auch gut vorher enden kann, strahlend zu beenden: in einer Minderheitsregierung, mit der SPD oder den Grünen. Dreimal Pest. Gleichzeitig eine neue deutsche Führungsrolle in Europa definieren. Stabilität in der Entwicklung. Sozialer Zusammenhalt. Alles nicht ganz einfach. Aber wie sagt Sie gerade im TV, mit Respekt und Demut, „eine nicht ganz leichte Regierungsbildung.“ Viel Glück Mutti, jetzt liegt der Ball endgültig bei ihr, die Mehrheit dafür hat sie sich selbst verbaut. Aber hey – Verantwortung war immer eine große Herausforderung. Dabei verkörpert derzeit niemand die Werte des Nordens und des Südens so gut, wie Angie, aus der in dieser Nacht endgültig Fr. Kanzlerin wurde. Willkommen in der Republik Deutschland.

Heimaten sind emotionale, soziale Konstrukte. Jede Partei hat dabei eine andere Basis zur Gestaltung dieser Heimaten, unsere Geschichte, unser Neuanfang, unsere Klassen und unsere Zukunft. Deshalb differenzieren sie so gut und spielen eine Rolle in der deutschen Demokratie zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Alle zusammen ergeben ein Bild unserer Gesellschaft, einer Kulturnation, die sich aufmacht, dieses Jahrhundert aktiv zu gestalten. Netzgemeinde hin oder her.