Marken Welten

Blog über Kommunikation, Mensch, Technologie und Organisation

Marken Welten
Notizen

Die Zeit und die Marke

Mit dem aktuellen Spiegel ist die gesellschaftliche Debatte bei einem Kernthema angekommen: Zeit. Ein recht grundlegendes Konstrukt. Es ist die Richtung der „Zunahme der Entropie, d. h. der Unordnung in einem abgeschlossenen System.“ schreibt die Wikipedia. Der Mensch strebt zur Ordnung, die Zeit strebt dagegen. Es gibt also immer was zu tun.
Zeit und Wirtschaft sind wie Vater und Kind. Wer die Preisführerschaft besitzt, hat die Prozesse im Griff, die aufgewandte Zeit perfekt optimiert. So braucht ein Huhn von der [Zucht-] Schale bis zum frittierten Nugget heute noch 30 Tage, schreibt der Spiegel. Irre effizient.

Wissen ist Ohnmacht

Währenddessen erlebt die Marke ein Revival, wie so ziemlich alles derzeit. Ich denke, das „Revival“ ist eher eine Suche nach Ursprüngen, als ein Spiel mit Möglichkeiten. „Act allways as to increase the number of choices“, sagte Heinz von Förster. Das war sehr erfolgreich, Choices, Wahlmöglichkeiten, haben wir schlicht zuviel. Überall wird gekramt und gewühlt, anhand der Ursprünge wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, die Möglichkeiten einzuschränken. Wissen hilft hier wenig. Das Beschränkung im Schlaraffenland eine gesunde Idee ist, wissen wir. Die Griechen gingen noch weiter und beschrieben die Lust am Ereignis und den Vorteil der Beschränkung. Odysseus und seine Mannen würden sonst immer noch auf der Insel bei den Mädels rumliegen und seine Reise wäre kein Sinnbild für die Suche des Menschen nach Sinn im Leben geworden. Braver Odysseus. Zeit ist eine Abfolge von Ereignissen und unser Hirn erstellt subjektive, ja gefühlvolle Verbindungen zum gelernten Maß an Inhalten. Viele Inhalte: die Zeit rauscht an uns vorbei (siehe Hamsterrad), wenige Inhalte und die Zeit wird zäh. Für den Konsum ist das pure Energie. Energie, die uns maßlos überfordert.

Schnell ist Schlecht

Damit hätten wir schon einiges beisammen. Marken, die immer noch nach den Regeln der 90iger gebaut werden, erscheinen uns wie schnelllebige Konsumgüter, weniger wert. Wer heute etwas auf sich hält, schreibt sein Baujahr dazu. Ich habe schon Marken gesehen, die mit stolzer Brust „seit 1997“ unter dem Namen führten. Nun, Zeit ist subjektiv. Wo es um Ursprünglichkeit geht, geht es immer um Substanz. Ich würde es den Knackpunkt der Markenführung nennen. Themen aufzuschnappen und mit Effeè aufzuladen, entspricht nicht ganz den aktuellen Anforderungen.
Betrachten wir die Gegenseite: Da wo der Prozeß um des Prozesses willen optimiert wird, also le èconomie pour le èconomie, verschwindet der Sinn schneller, als Aldi ein Sonderangebot Hühnerbrust raushauen kann. „Ich wollte letztens Putenkeule grillen. Es gab nur keine, die teuer genug war.“ wäre irrational, sagt die BWL. Dabei ist es enorm rational, nach Qualität eben nicht nur im Nutzwert zu suchen. Auch die Kultur der Tierhaltung hat Qualität, vom Einfluß des Gegessenen auf mein Selbst ganz zu schweigen. Man ist, was man isst.

Qualität im Input

Entschleunigung ist seit Jahren ein Thema im Tourismus. Kein Wunder, die Wahlmöglichkeiten der Reisewege, mithin der Erlebnisformen, geht gegen unendlich. Es gibt geführte Wanderungen auf den Himalaya. Um 1900 wäre das der Gipfel gewesen, nun wollen die Ersten auf den Mars ziehen. Geht’s noch? Eher nicht. Aber wie? Unser Hirn liebt Ereignisse. Da, links, ein Geräusch! Alle Augen links. Es kostet Kraft, auf Ereignisse zu verzichten. Facebook nicht aufzumachen, ist viel schwerer, als Stunden in der Timeline zu verbringen und sich dann gehetzt zum nächsten ToDo zu bewegen.
Das irre dabei: die Natur ist viel komplexer, als irgendeine Kultur. Man muss sich nur darauf einlassen können. Genau das gelingt vielen nicht mehr einfach so. Wie man das heute macht, ist aber auch einfach: Das Geld ist da, also wird Qualität gekauft. Woran erkenne ich Qualität? Am Preis. Teuer = Marke = Qualität. Ein Einstiegspunkt der einfachen Art. Man will ja niemanden überfordern. Das führt notgedrungen im Laufe der Zeit auch zum Erleben von Qualität. Das wiederum führt dazu, daß „Weniger ist Mehr“ ohne weiteren Aufwand gelernt wird, man kann es zu einer eigenen Haltung ausbauen, ohne weitere Energie einzusetzen. Verhalten ändert sich. Puh, geschafft, ankommen und aufatmen, wie es sich das ganze Land Österreich auf die Fahnen geschrieben hat. Supertrend.  Kernthema.
Dabei ist der Mehrwert so enorm, daß wir das Vierfache des Preises von vor 10 oder 20 Jahren zahlen. Wäre es nur ein bisschen mehr, wäre es kaum der Rede wert. Natürlich spaltet sowas die Gesellschaft. Handelsmarken verbinden sie wieder. Oder H&M. Schließlich kann Discount heute Qualität und Marken können Preis/Leistung. Was die Sache nicht einfacher macht.

Zeit Macht Charakter

Da stehen wir also heute – in ersten, größeren Schritten. Marken sind wieder relevanter, weil sie viele andere Dinge nutzlos machen, das Leben vereinfachen. Dann aber auch, weil sie selber voller Ereignisse sind. Wir erleben Ihre vielen kleinen Details nach und nach. Jedes durchdachte Stückchen erschließt sich uns. So entsteht eine neue Lust an Marken. So entsteht Beschränkung ohne Nebenkosten. Nicht das 90iger Motto „Hau noch eins drauf“. Eher die vielen inneren Werte zählen. Das Einfache ist nur das Vereinfachte, nicht etwas Einfaches. So sind Marken heute. Sie gehen an die Substanz. Ohne SchiSchi. Sie verstehen ihr Thema und füllen es aus. Keine 10 Jacken mehr, sondern die Eine, die ich jeden Tag mag, die ich jeden Tag neu entdecke. Zu der ich auch nach Monaten noch eine neue Geschichte erzählen kann.

Das ist aufwendig, muss es aber nicht sein. Über den neuen Alfa Romeo schreibt die Welt: „Der 4C hat einen Spurhalte-Assi. In Form des Lenkrads. Er hat auch einen Regensensor. Indem der Fahrer da rechts an einem Schalter rumfummelt, schneller, langsamer, gar nicht. Er hat einen Tempomaten, der heisst Gasfuss, und er hat auch einen Abstandsradar, nämlich die Augen des Piloten in Zusammenarbeit mit der Bremse.“ Dann, im Teil des Wesentlichen: „endlich einmal ein Auto mit Charakter. Nicht Lifestyle, sondern: Haltung.“

Es sind nicht die Funktionen. Charakter, ist das, was im Zeitstrom Bestand hat. Charakter ist das neue Gameplay, die höhere Stufe der Markenführung. Denn Charakter selbst hat eine Funktion. Raten Sie mal welche?

Bildquellen:
Eigenes Foto, Zürich, Bäcker, 2011
Beitragsbild: Blogbeitrag „Art-Banking: Die Kunst als Anlageobjekt?“ auf dem Blog Cashflow-Buch.