Shitstorm – was nun?
Teil II aus der Diplomarbeit von Tim, den ich dringend zum Lesen empfehle und hier wieder kurz zusammenfassen möchte. (Teil I ist hier.) So hat man schnell einen ersten Blick auf das Problem, wenn der eigene Sturm naht.
Aus einer ganzen Reihe von Shitstorms entwickelt Tim zwei mögliche Strategien: i. Kritik annehmen und ii. Kritik ablehnen. Bei i. reichen die Möglichkeiten von der Entschuldigung, über die Besserung bis zur kollektiven Lösung des Problems mit der Community, der Kollaborativen Wiedergutmachung. Bei ii. bieten sich Ignoranz, Leugnen, Verantwortung Abschieben und Herunterspielen an. (Siehe auch meinen Beitrag zur Krisenkommunikation 2.0 von 2008.)
Es mag nicht erstaunen, daß die Kollaborative Wiedergutmachung der erfolgreichste Lösungsweg ist. Auf diese Art wird aus einem Shitstorm ein Candystorm. Bestes Beispiel ist Pril, die ein von der Community geliebtes Flaschenetikett in kleiner Auflage gedruckt, verlost und über eBay versteigert haben. Aus einem großem Aufreger wurde die Gier, selbst eine Flasche zu erhalten. (Womit meine Idee hier aufgegriffen wurde.)
Zudem finden sich in dem Beitrag viele gute grundsätzliche Tipps. Wer z.B. auf Kritik nicht eingeht, erhöht das Engagement der Nutzer, die so den Druck verstärken. Es sollte immer auf dem Kanal geantwortet werden, auf dem der Shitstorm startete. Also z.B. keine Pressemitteilung bei Erregungen im Blog. Darüber hinaus sollte die Reaktion aber auf allen Kanälen des Unternehmens einheitlich sein. Leider keine Selbstverständlichkeit. Wenn man reagiert, muß man das auch öffentlich machen und die Antwort nicht verstecken. Die Nutzer kramen alles überall raus, wenn sie erst einmal Interesse haben. Bei Facebook also z.b. nicht nur in den Kommentaren antworten, sondern selbst aktiv posten.
Weiterhin sind schnelle Reaktionen wichtig, damit die Nutzer sehen, daß man sich nicht aus der Verantwortung stiehlt. Die Reaktion muß keine Lösung beinhalten, sondern zunächst zeigen, daß man da ist. Zudem kann und sollte man Problemfälle proaktiv kommunizieren. Das schwächt den „Shit“ im „Storm“ schon vorher ab. Das verlangt Mut, aber weniger, als wenn es erst einmal losgeht. Nicht zuletzt muss das Thema aus der Social Media Abteilung raus, mit anderen Bereichen abgestimmt und von diesen auch ernst genommen werden. Ein potentieller Imageschaden landet auch beim Einkauf, beim Vertrieb und den Investor Relations.
Am Ende des Artikels findet sich noch die Übersicht seiner Untersuchung mit Shitstorms aller möglichen Unternehmen. Also: Lesen! ;-)
-> Eine erste Diskussion fand in der Shitstorm-Community auf Google+ statt.
Bildquelle: Blog von pr://ip
Hiho, ich hatte die Comments hier leider übersehen, alles Gut Christian :) Ich denke wir beide haben so viel Arbeit in Shitstorms gesteckt (Du weitaus mehr), dass man dort ein bisschen empfindsam wird… Ich bin gespannt auf Deine Arbeit, hoffentlich machen wir danach mal was zusammen in Sachen Shitstorms. Das wäre doch mal eine Herausforderung, die sicher ein sehr fruchtbares Ergebnis nach sich ziehen würde.
Tim – es fehlt noch die theoretische Ausrichtung deiner Arbeit. Christian kommt ja aus der Corporate Communication.
Hier übrigens der Vollständigkeit halber und zur Untermauerung meiner Intention ein kurzes Zwischenfazit auf meinem Blog. Hier unterstreiche ich nochmal den Kern der Unternehmenskommunikation. Grüße an alle
http://my-shitstorm-diss.posterous.com/wie-die-zeit-vergeht-zwei-jahre-promotion
Ein sehr schöner Text! Ich wusste ja gar nicht, daß du erst Halbzeit hast ;-)
Was meinst du zu der These der beiden Werteebenen? Und glaubst du, daß uns das Phänomen Shitstorm die nächsten 5 Jahre erhalten bleibt?
Jip. Frisch aus der Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt in dieser Arbeit auf die Unternehmenskommunikation.
Na, das erklärt doch schon einiges – v.a. das Relevanzthema und dein Verweis zur PR Krisenkommunikation. Warten wir mal auf Tim.
(PS: Ich habe grad verschachtelte Kommentare freigeschaltet – kann man besser einzelne Punkte aufgreifen.)
Und aus welcher „theoretischen Ecke“ heraus? Psychologie, Soziologie, Kommunikationstheorie etc. etc.?
(Ich nehme an, Untersuchungsgegenstand ist dann: „Was ist ein Shitstorm?“ Oder wie würdest du das formulieren?)
An Tim: Zerreißen wollte ich deine Ansätze nie. Hatte ich nicht oft betont (auch hier), dass ich meinen Hut davor ziehe, vor allem vor der Methode? Das war ernst gemeint. Da kam das wohl falsch rüber. Das tut mir leid. Dann halte ich mich wohl besser etwas zurück. Das hast du aber wirklich in den falschen Hals bekommen. („Wer austeilt muss auch einstecken können“ – ein bisschen Schulhof ist das aber auch *zwinker*)
Und mein Ansatz ist ganz einfach: Es ist eine Grundlagenarbeit, die das Phänomen an sich untersucht. Entsprechend eine statistische Methode a la Tim nicht in Frage kam, da zu viele qualitative Aspekte vorkommen. Eine „Urschleim-Arbeit“ sozusagen, die (hoffentlich) sie Basis für weitere speziellere Arbeiten (Bachelor, Master) darstellen wird.
Tim, Christian – macht dochmal die Ansätze Eurer Arbeiten explizit. Nicht mit der Definition, sondern dem Untersuchungsziel. Vielleicht kann man dann fruchtbar verbinden?
Hohn & Spot, Christian, sind meines Erachtens starke Wertethemen. Woraus sich ein interessantes Problem ergibt: für die Exilkubaner war es eine Frage der Identität, für die Spötter eine Frage des Klischees. Zwei verschiedene Wertebenen. Was sagen Eure Arbeiten jeweils dazu?
Hiho :) Bitte nicht persönlich nehmen, aber ich fühle mich von Deinen Beiträgen auf G+ und Facebook, die meinen Ansatz nur aufgrund der angewendeten quantitativen Methoden und Messungen von Shitstorms, die ich zur Stützung meiner Hypothesen angewendet habe, öffentlich zerreisen, auch ziemlich hart und unsachlich kritisiert. Und das dann auch ohne Vorschläge, wie man es mit Messungen und quantitativer Unterstützung besser machen kann. Wer austeilt muss auch einstecken können.
Der Rest der Diskussion hier geht in eine richtig gute Richtung – mehrere Ebenen – Hohn und Spott und Trolling sind alles Komponenten, die es bei Shitstorms gibt. Aber das Kernelement der Shitstorms ist der Werteverstoß. Einen reinen Shitstorm nur aus Hohn und Spott und Trolling gibt es in meinen Augen nicht. Jedenfalls nicht bei den Fällen, die aus Marketingsicht (und da unterscheiden wir uns ja, was auch der Grund ist warum wir verschiedene Sichtweisen haben) relevant sind.
Hach. Zunächst muss ich Tim widersprechen, wenn er meiner Diss einer Beeinflussung seitens Daimler unterstellt und damit die erforderliche Objektivität der Empirie untergräbt. Daimler hat mit meiner Arbeit nicht viel zu tun. Erst am Ende ziehe ich sie als Fallbeispiel heran. Und der Che Guevara Fall war ein Beispiel (ich gebe zu, hier liegen mir interne Auswertungen vor). Wenn ich nochmal die Unterstellung, meine Diss wäre „gefärbt“ höre, breche ich jede weitere Diskussion ab.
Und was die involvierten Akteure angeht, so waren es fast ausschließlich Exil-Kubaner, die sich aufgeregt haben und die teilweise selbst noch unter Che gelitten haben. Eine klar eingeschränkte Öffentlichkeit. Der Rest hat sich dafür nicht interessiert. Daher mit „Wertkonstrukten“ zu arbeiten ist zwar theoretisch richtig, trifft aber nicht die Praxis. Wer nicht betroffen war, dem war das egal. Deswegen hatte es Daimler ja in sein Key-Note eingebaut. Das sind eigentlich intelligente Redenschreiber hier. Aber ziehen wir uns nicht an diesem Fall hoch.
Und das ein Shitstorm mehrere Wirkunsgebene hat, ist gut erkannt. Intern kann auch ich nur partiell Aussagen treffen, da hätte ich sonst bei 40 Unternehmen klopfen müssen und dann wären die Aussagen wohl geschönt gewesen. Daher muss auch ich mich an öffentliche wahrnehmbare Wirkungen halten.
Und nochmal an Tim: ich kann verstehen, dass du deine Werte-Thesen verteidigst; immerhin Basis deiner Diplomarbeit. Würde ich auch machen, aber in allem gleich die Verteidigung von Werten zu sehen, trifft nur auf die aktive, treibende Akteursgruppe des Shitstorms zu. Die große Masse lässt Dampf ab oder macht sich lustig (neben den ganzen Recruiting-Videos findet sich das auch schön bei Ergo; tausende sind im Sexskandal Fan der Facebookseite geworden, um ihren Hohn auszudrücken: Sexskandal = I like!)
Nachtrag: „Überbewerten“ eines Shitstorms hat mehrere interessante Ebenen. Diese zu trennen, schafft Wissensmehrwert. Da wäre zum einen die Reaktion nach aussen. Zum anderen der Einfluß auf den Vertrieb. Auf ganz anderer Ebene der Einfluß auf die Reputation. Interne Einflüsse auf die Selbstwahrnehmung des Mitarbeiters etc.
Wie sagt man bei Gerüchten: Irgendwas bleibt immer hängen. Und nur, weil die öffentliche Diskussion aufhört, heisst das nicht, daß die Wirkung vorbei ist.
Man könnte auch sagen: der Zeithorizont der Einflußmöglichkeiten ist zeitlich eng, also auf den Storm begrenzt – die Wirkung aber nicht. Ich habe seit damals nie wieder was bei Jack Wolfskin gekauft. Eigentlich Unsinn, aber wahrhaftig passiert. Andere Storms können bei passender Gelegenheit zurück kommen, wenn sie nicht gelöst sind. Beim ersten Mal war es noch pillepalle, aber ist es das beim zweiten Mal auch?
Ha, etwas später, als Tim und gedacht. Egal.
Christian, einfach ist immer am Besten, wenn es richtig ist ;-) Also exakt ein Thema für einen Doktoranden. Frag Einstein ;-)
Wenn die Einstellungen gegenüber der Person Che verletzt wurden – dann doch nur, weil diese Person den Menschen etwas wert ist? Einfach gesagt. ;-) Ich würde sogar weiter gehen und sagen, da die meisten ihn nicht persönlich kennen, haben sie nur ein Wertekonstrukt von Che parat, daß für den Shitstorm genutzt wurde. Erregungsenergie.
Wird nur des Meckerns wg. gemeckert? Und ist das Abklingen einer emotionalen Erregung nicht auch eine Lösung?
Die Leute können Ihre Energie in tausend Dinge stecken – warum in den Shitstorm? Irgendeinen _Grund_ muß es geben.
Auch Trolling hat etwas mit Aufmerksamkeit zu tun, das die Aufmerksamkeit der Marke nutzt. Gehe ich zu weit, wenn das in die gesellschaftliche Verantwortung der Marke rein reicht?
Oder kann man nicht viel einfacher sagen: Trollzeug wird schlicht gelöscht. Im letzten Fall ist es nicht Teil des Shitstorm-Modells, sondern wird bewusst als Ausnahme definiert.
Hey Christian, mit Verlaub aber bei Che Guevara sehe ich einen Spillover seiner Verstöße gegen eine große Spannweite gesellschaftlicher Werte auf die Marke Daimler, z.B. Zuhause und Sicherheit, Familie und Kinder sowie das Prinzip sozialer Nachhaltigkeit. Das sind die zentralen Gründe, warum die Einstellung vieler Menschen gegenüber Che Guevara so negativ ist. Die These des Trollings und dass die Prozesse in den Unternehmen schlank gehalten werden müssen vor dem Hintergrund, dass Du Deine Dissertation für Daimler schreibst halte ich – bei allem Respekt – für ziemlich gefärbt.
Was meinst du eigentlich mit „gefärbt“? Also in Bezug auf Trolls?
Auch wenn sich das aus dem Mund eines Doktoranden komisch anhört, aber in manchen Fällen ist die einfachste Antwort die richtige: zu a) Werte wurden hier weniger verletzt, eher Einstellungen gegenüber der Person Che Guevara. Das hatte Daimler unterschätzt. Es gibt auch eine ganz einfache andere Erklärung warum Reaktionen ignoriert werden: weil die Akteure gar nicht um Lösung bemüht sind. Meckern des Meckerns wegen. Grundlagen findet man hier im klassischen Trolling. Auch ein Grund, warum die Modelle nicht immer fruchten. Und zu b) auch intern muss nicht immer gleich jeder dabei sein. Natürlich muss es themenspezifische Absprachen geben, aber das würde ich nicht überbewerten. Und nur die wenigsten Shitstorms senden „starke soziale Signale“; meist ist es wirklich ein kurzer Aufreger, der schnell verebbt. Ich hatte die Überbewertung des Phänomens bereits angesprochen.
Hallo Christian, hat Punkt a) nicht v.a. was mit dem Wertelevel zu tun? Also: sind Werte der Marke oder gesellschaftliche Werte betroffen? Im zweiten Fall braucht es mehr, als eine Entschuldigung. Die Akzeptanz der Kritik muss auf einer höheren Ebene stattfinden. Das Modell bleibt aber gleich.
Zu Punkt b) Abstimmung heisst ja nicht, daß auch alle Bereiche öffentlich kommunizieren müssen, sondern daß die Themen des Shitstorms auf breiterer Basis intern bearbeitet werden. Ein Shitstorm beinhaltet starke soziale Signale, deren Bedeutung für das Unternehmen nicht immer auf den ersten Blick deutlich wird.
Hallo Christian :) Auf die Daimler These gehe ich in einem Beitrag in der WuV ebenfalls ein. In manchen Fällen kann die „richtige“ Reaktion einen Shitstorm nicht verhindern, aber mildern, sprich den Shitstorm kleiner machen, komplett verhindern aber nicht. Da kommt es auf die Härte des Vergehens an. Es ist ein Unterschied, ob ich gegen Werte der ökologischen Nachhaltigkeit verstoße, indem ich ein Blatt Papier aus dem Fenster werfe und mich dann entschuldige, oder ob ich eine Öl-spuckende Brent Spar habe und mich öffentlich in breit angelegten TV-Kampagnen entschuldige. Da reicht dann keine Entschuldigung. Das bildet das Modell mit der Moderatorrolle der Unternehmensreaktion aber exakt ab. Die Sender-Empfänger-Problematik sehe ich auch, die ist objektiv nachvollziehbar aber praktisch nicht zu durchdringen, es sei denn man möchte im Schnitt 20.000 qualitative Interviews mit Shitstorm Teilnehmern machen. Zu b): Die Implementierung solcher Workflows für den Ernstfall halte ich dennoch für angebracht. Von den weiteren Begriffen habe ich leider keine Ahnung, könntest Du „klassische Shitstorms“ und „Campaigning 2.0“ aus Deiner Sicht definieren und voneinander abgrenzen?
Hallo,
eine sehr gute Arbeit von Tim; ohne Frage. Was ich gerne immer wieder betone.
Dennoch möchte ich nach dieser Zusammenfassung auf zwei Punkte eingehen, die gerne vergessen werden. a) es gibt Fälle, wo selbst die reumütigste Entschuldigung und das professionelle Ausspielen aller Kanäle nichts bringen, da nachweislich die Akteure die Reaktion des Unternehmens grundsätzlich ignoriert haben (Bsp. Daimler – Che Guevara 2012). Die hier unterstellte Ablauflogik Reaktion – Ergebnis ist daher nur verallgemeinert richtig. Ebenso möchte ich auf das Sender-Empfänger-Problem hinweisen, was dann eintritt, wenn aus Sicht des Unternehmens die Reaktion richtig war, aber nicht aus Sicht der Akteure. Und b) nur die wenigstens Shitstorms verlangen eine derart professionelle PR-Arbeit im Unternehmen, bei der sich schließlich mehrere Abteilungen zusammen tun. Oft reicht es völlig, wenn sich die Social Media Abteilung mit dem Fall auseinandersetzt. Die immer wieder vorgebrachten Fälle wie Nestle sind keine klassischen Shitstorms, sondern originäre Krisen-PR respektive Campiaining 2.0 Von vornherein Maßnahmen der Krisen-PR 1:1 auf einen Shitstorm übertragen zu wollen, ist übertrieben und trägt dazu bei, dass Shitstorms schlimmer erscheinen, als sie nachweislich sind. Grüße
;-) Scheint so! Liebe Grüße ins gemütliche Münster!
Hey Michael,
Wow, Wahnsinn! Eine tolle Zusammenfassung die alles Wichtige enthält und meine Thesen verständlicher ausdrückt als ich es selbst kann. ‚Das schwächt den „Shit“ im „Storm“ schon vorher ab.‘ hat mir besonders gefallen!
Wir sind wohl aus einem Holz? ;)
Vielen Dank und liebe Grüße aus Münster,
Tim